Neuerungen fallen zunächst im Bereich der Fristen auf:
Wird eine Sendung mit gewöhnlicher Post an einem Samstag, Sonntag oder anerkannten Feiertag zugestellt, so gilt die Zustellung erst am nächsten Werktag als erfolgt. Fristen beginnen entsprechend erst am darauffolgenden Tag zu laufen (Art. 142 ZPO, wie bisher).
Sodann kann es vorkommen, dass eine Eingabe bei einem unzuständigen Gericht eingereicht wird. Neu sind unzuständige Gerichte verpflichtet, irrtümlich bei ihnen eingereichte Eingaben an das zuständige Gericht weiterzuleiten, sofern es sich beim zuständigen Gericht um ein schweizerisches Gericht handelt. Rechtshängig ist die Sache bereits mit dem Datum der ersten Einreichung beim unzuständigen Gericht (wobei bei postalischer Einreichung der Poststempel gilt bzw. bei elektronischer Einreichung der Übermittlungszeitpunkt).
Einführung von Videoübertragung für mündliche Verfahrenshandlungen
Die neue ZPO ebnet den Weg dazu, mündliche Verfahrenshandlungen per Videotelefonie durchführen zu können. Dies ist möglich, wenn alle Parteien zustimmen und keine persönliche Erscheinungspflicht vorliegt (für diesen Fall gelten weitere Bedingungen). Kinder sind allerdings stets persönlich und nicht "per Call" anzuhören.
Beim Friedensrichter
Schlichtungsbehörden können den Parteien in bestimmten Fällen einen Entscheidvorschlag unterbreiten, abhängig vom Streitwert. Die Obergrenze für Urteilsvorschläge wurde für vermögensrechtliche Streitigkeiten von bisher CHF 5'000 auf neu CHF 10'000 angehoben.
Nicht mehr beim Friedensrichter
Bevor ein Streit vor Gericht getragen wird, muss grundsätzlich ein Schlichtungsversuch unternommen werden. In der ZPO sind jedoch diverse Ausnahmefälle geregelt, in denen ein Schlichtungsverfahren entfällt. Neu enfällt der Gang zum Friedensrichter u.a.
- bei Unterhaltsstreitigkeiten für minderjährige und volljährige Kinder sowie weitere kindesbezogene Angelegenheiten - diese Änderungen hat grosse praktische Relevanz im Familienrecht;
- in Fällen, in denen das Gericht eine Frist zur Klageerhebung gesetzt hat oder eine Klage mit einer solchen Klage zusammengeführt wird;
- für Klagen wegen Gewalt, Bedrohung oder Nachstellung sowie Klagen im Zusammenhang mit elektronischer Überwachung;
- in Streitigkeiten, die von einer einzigen kantonalen Instanz entschieden werden müssen.
Ordentliche Verfahren
Bereits in der Vergangenheit konnten Gerichte ihre Entscheide ohne schriftliche Begründung eröffnen. Wer den Entscheid anfechten wollte, musste innert Frist eine Begründung verlangen. Neu wird diese Art der Eröffnung als Regelfall definiert.
Bislang mussten neue Tatsachen oder Beweismittel umgehend nach deren Bekanntwerden in das Verfahren eingebracht werden. Mit der Änderung in Art. 229 ZPO reicht es nun, diese innerhalb einer vom Gericht gesetzten Frist oder zu Beginn der Verhandlung vorzubringen.
Vereinfachte Verfahren
Neu werden auch Verfahren betreffend den Unterhalt für volljährige Kinder im vereinfachten Verfahren behandelt.
Im Falle einer Scheidung können Ehegatten ein gemeinsames Gesuch einreichen. Wenn sich die Parteien nicht in allen Scheidungsfolgen einigen können, wird die verbleibende Streitpunkte nun im vereinfachten statt im ordentlichen Verfahren behandelt. Gleiches gilt für Scheidungsklagen, wenn nach der Einigungsverhandlung keine vollständige Einigung erzielt wurde.
Im vereinfachten Verfahren ist es nicht zwingend erforderlich, dass eine Klage eine ausführliche Begründung enthält. Es genügt, wenn darin die beteiligten Parteien, das Rechtsbegehren, der Streitgegenstand sowie gegebenenfalls der Streitwert angegeben sind. Sollte eine solche Klage keine Begründung aufweisen, wird sie der beklagten Partei zugestellt, und die Beteiligten werden zu einer Verhandlung geladen.
Erscheint nun eine Partei nicht zur Verhandlung erscheint, stellt das Gericht eine einzige weitere Ladung zur Verhandlung aus. Die zweite Verhandlung muss innerhalb von 30 Tagen nach dem ursprünglichen Termin stattfinden.
Wenn die Klage hingegen bereits eine Begründung enthält, wird der beklagten Partei zunächst eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme gesetzt. Erscheint eine Partei danach nicht zur angesetzten Verhandlung, wird ein Urteil gefällt, ohne eine erneute Vorladung zur Verhandlung.
Summarische Verfahren
Neu werden auch Massnahmen nach Artikel 69c ZGB bei organisatorischen Mängeln in einem Verein, Löschungen von juristischen Person gemäss Artikel 934 Abs. 3 OR und Massnahmen nach den Artikeln 731b, 819 und 908 OR bei strukturellen Mängeln in einer Gesellschaft oder Genossenschaft im summarischen Verfahren behandelt.
auch im Bereich der Klagen und Widerklagen ändert sich einiges:
Normalerweise müssen Forderungsklagen eine konkrete Summe beinhalten. Falls die Bezifferung nicht zumutbar ist, kann eine unbezifferte Forderungsklage erhoben werden, wobei ein Mindestwert als vorläufiger Streitwert anzugeben ist. Neu ist, dass das Gericht nach Abschluss des Beweisverfahrens eine Frist setzt zur Bezifferung der Forderung.
Eine Widerklage ist grundsätzlich nur zulässig, wenn sie nach der gleichen Verfahrensart wie die Hauptklage behandelt wird. Eine Widerklage scheiterte somit nicht selten, weil sie einen höheren oder tieferen Streitwert als die Klage hatte und deswegen in eine andere Verfahrensart fiel. Neu kann eine Widerklage jedoch auch dann im ordentlichen Verfahren erfolgen, wenn sie aufgrund des Streitwerts im vereinfachten Verfahren geführt werden müsste, die Hauptklage aber im ordentlichen Verfahren anhängig ist oder wenn sie sich auf die Feststellung des Nichtbestehens eines Rechts oder Rechtsverhältnisses bezieht, nachdem mit der Hauptklage nur ein Teil eines Anspruchs daraus eingeklagt wurde und aufgrund des Streitwerts das vereinfachte Verfahren anwendbar wäre.
Neuerungen gibt es auch bei der Klagenhäufung: Mehrere Ansprüche gegen dieselbe Partei können in einer Klage vereint werden, wenn das gleiche Gericht sachlich zuständig ist und die gleiche Verfahrensart anwendbar ist. Neu ist dies auch möglich, wenn sich die Unterschiede lediglich auf den Streitwert beziehen. In solchen Fällen erfolgt die Beurteilung im ordentlichen Verfahren.
Rechtsmittel
Wirkungen
In der Praxis relevant ist die Frage, wie es sich mit den von der Vorinstanz getroffenen Anordungen während des Rechtsmittelverfahrens verhält.
Anders als bei der Berufung hat eine Beschwerde in der Regel keine aufschiebende Wirkung. Die Rechtsmittelinstanz kann jedoch die Vollstreckbarkeit aussetzen, falls der betroffenen Partei ein erheblicher Nachteil droht. Diese Möglichkeit besteht nun ausschliesslich auf Antrag der betroffenen Partei. Zudem kann eine solche Entscheidung bereits vor Einreichung der Beschwerde getroffen werden, verliert aber ihre Gültigkeit, falls keine Begründung des erstinstanzlichen Entscheids verlangt oder die Frist für die Beschwerde nicht genutzt wird.
Eine Berufung hat grundsätzlich zur Folge, dass der angefochtene Entscheid in dem Umfang, in dem die Berufungsanträge gestellt wurden, weder rechtskräftig noch vollstreckbar ist. Allerdings gibt es Ausnahmen, in denen eine Berufung keine aufschiebende Wirkung hat. Dies betrifft nun nicht nur Berufungen gegen Entscheide zum Gegendarstellungsrecht und zu vorsorglichen Maßnahmen, sondern auch gegen Anweisungen an Schuldner sowie zur Sicherstellung von Unterhaltszahlungen.
Die Rechtsmittelinstanz kann aber in bestimmten Fällen die Vollstreckbarkeit eines Entscheids vorzeitig anordnen oder umgekehrt aufschieben, wenn die betroffene Partei andernfalls einen erheblichen Nachteil erleiden würde. Neu ist, dass dies nur noch auf Antrag der betroffenen Partei geschehen kann. Zudem kann ein solcher Entscheid bereits vor Einreichung der Berufung erlassen werden, verliert aber seine Gültigkeit, falls keine Begründung für den erstinstanzlichen Entscheid nachgefordert oder die Rechtsmittelfrist nicht genutzt wird.
Spezifisch familienrechtliche Neuerungen im Rechtsmittelverfahren
Bisher war eine Anschlussberufung im summarischen Verfahren nicht möglich. Neu ist, dass dies nun im Rahmen der Berufungsantwort bei familienrechtlichen Streitigkeiten gemäss zulässig ist.
Die Frist für die Einreichung von Berufung und Berufungsantwort beträgt im summarischen Verfahren grundsätzlich zehn Tage. In familienrechtlichen Streitfällen gemäss Art. 271, 276, 302 und 305 ZPO, die ebenfalls summarisch behandelt werden, wurde diese Frist nun auf 30 Tage verlängert.
Grosse Bedeutung im Alltag hat das sog. unbedingte Replikrecht, d.h. das Recht zu sämtlichen Eingaben der Gegenseite Stellung nehmen zu können. Dies geschah bisher meist implizit, indem die Gerichte Eingaben einer Partei den/der anderen Partei/en "zur Kenntnisnahme" zustellten. Dann war die Empfängerin gut beraten, mit der Kenntnisnahme eine kurze Frist zur Stellungnahme zu verbinden. Neu muss das Gericht zur Wahrung dieses Rechts eine Frist von mindestens zehn Tagen setzen. Erst nach Ablauf dieser Frist ohne Reaktion gilt das Recht als verwirkt.
Auch im Beweisrecht ändert einiges:
Bisher wurden von Parteien in Auftrag gegebene Gutachten nicht als Beweismittel, sondern lediglich als Parteibehauptungen gewertet. Nun gelten diese als Urkunden und sind damit als Beweismittel anerkannt.
Neu gilt für die Protokollierung bei Aufzeichnungen von Zeugenaussagen mit technischen Hilfsmitteln: Das Protokoll kann nachträglich erstellt werden, ohne dass es der Zeugin oder dem Zeugen vorgelesen oder zur Unterschrift vorgelegt werden muss. Die Aufnahme wird stattdessen in die Gerichtsakten aufgenommen. Dies gilt sinngemäss auch für Parteibefragungen etc.
Wird in familienrechtlichen Verfahren über Angelegenheiten von Kindern entschieden, muss das betroffene Kind in einer geeigneten Form persönlich befragt werden, sofern Alter oder andere wesentliche Faktoren nicht dagegen sprechen. Die Nutzung elektronischer Übertragungsmittel wie Videokonferenzen ist für diese Anhörungen gesetzlich ausgeschlossen.
Demgegenüber können Gerichte neu unter bestimmten Voraussetzungen Zeugenaussagen per Videokonferenz o.ä. aufnehmen, sofern keine übergeordneten öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen. Diese Möglichkeit besteht auch für Befragungen von Parteien zu rechtserheblichen Sachverhalten, für Beweisaussagen unter Strafandrohungsowie für mündliche Gutachtenserstattungen im Rahmen eines Prozesses.
In-House-Juristen werden sich über ihre Möglichkeit zur Verweigerung ihrer Mitwirkung freuen. Umgekehrt wird sich darüber ärgern, wer von diesen Personen Mitwirkung verlangt. Neu gilt, dass ein im Handelsregister eingetragenes Unternehmen das Recht hat, in einem Zivilprozess die Mitwirkung zu verweigern. Dies gilt insbesondere für die Herausgabe von Dokumenten, sofern der interne Rechtsdienst von einer Person geleitet wird, die über die notwendige berufliche Qualifikation für die Ausübung des Anwaltsberufs verfügt.