Bau- und Immobilienrecht.

§ 18 Mehrfamilienhäuser

1 Als Mehrfamilienhäuser gelten Gebäude mit vier und mehr Wohneinheiten. Einfamilienhäuser wie Reihenhäuser und zusammengebaute Gebäude ohne gemeinsamen Haupteingang fallen nicht darunter.

2 Terrassenhäuser mit vier und mehr Wohneinheiten gelten als Mehrfamilienhäuser, wenn sie Teil einer Arealüberbauung sind.

1. Allgemeines

Der allgemeine Sprachgebrauch versteht unter dem Begriff "Mehrfamilienhaus" ein Gebäude mit mehreren Wohnungen. Dies trifft jedoch auch auf Terrassenhäuser zu, für welche teilweise andere rechtliche Bestimmungen gelten als für Mehrfamilienhäuser (mit weiteren Hinweisen Kommentar chkp. zu § 17 BauV). Vor diesem Hintergrund war es folgerichtig, eine Definition des Begriffs "Mehrfamilienhaus" in die BauV aufzunehmen. Dies erfolgte früher in § 23b ABauV, welcher heute § 18 Abs. 1 BauV entspricht. Mit dem Inkrafttreten der BauV im Jahr 2011 wurde diese Bestimmung um Abs. 2 ergänzt.

2. Begriff des Mehrfamilienhauses

Ein Mehrfamilienhaus ist ein Gebäude mit vier und mehr Wohneinheiten. Eine Wohneinheit ist eine Gesamtheit von Räumen, die für eine Wohnnutzung geeignet ist, eine bauliche Einheit bildet, in baulicher Hinsicht von anderen Bereichen des Hauses getrennt ist und über einen eigenen Zugang verfügt. Es müssen alle für die Führung eines Haushaltes erforderlichen Räumlichkeiten (Küche, Bad, Toilette, etc.) vorhanden sein (vgl. Art. 2 Zweitwohnungsgesetz).

3. Besondere bauliche Anforderungen an Mehrfamilienhäuser

Bei der Planung bzw. Erstellung von Mehrfamilienhäusern sind die folgenden rechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen:

3.1. Behindertengerechte Ausgestaltung von Mehrfamilienhäusern (§ 53 BauG)

§ 53 BauG bestimmt Folgendes:

1 Öffentlich zugängliche Bauten und Anlagen, Bauten und Anlagen mit mehr als 50 Arbeitsplätzen sowie Mehrfamilienhäuser, die neu erstellt oder erneuert werden, sind für Menschen mit Behinderungen zugänglich und benutzbar zu gestalten. Diese Pflicht entfällt, wenn der für Behinderte zu erwartende Nutzen in einem Missverhältnis steht, insbesondere zum wirtschaftlichen Aufwand, zu Interessen des Umweltschutzes, des Natur- und Heimatschutzes oder zu Anliegen der Verkehrs- und Betriebssicherheit.

2 Der Regierungsrat erlässt Vorschriften über behindertengerechtes Bauen.

3.1.1. Allgemeines

Menschen, welche nicht im Vollbesitz ihrer körperlichen Kräfte sind, soll es möglich sein, selbständig zu leben. Dazu bedarf es unter anderem einer Anpassung der bisherigen Bauweise. Die behindertengerechte Bauweise kommt jedoch nicht nur Personen zugute, welche auf einen Rollstuhl angewiesen sind, sondern auch seh-, geh- und hörbehinderten sowie älteren Menschen, Lieferanten und Personen mit Kindern (Sommerhalder Forestier, in: Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aarau, Baumann et al. (Hrsg.), Bern 2013, N 1 zu § 53 BauG).

Das Behindertengleichstellungsgesetz (nachfolgend BehiG) ist ein Rahmengesetz. Es regelt nur die allgemeinen Anforderungen im Zusammenhang mit dem Diskriminierungsverbot. Die Grundsätze und die Rahmenbedingungen des BehiG machen je nach Kompetenzverteilung eine Umsetzung im kantonalen Recht oder Bundesrecht erforderlich (vgl. BGE 134 II 249, E. 2.2). Das BehiG gewährt den Betroffenen in konkreten Fällen jedoch einen Anspruch auf Beseitigung von baulichen Hindernissen beim Zugang zu Bauten. Dabei handelt es sich um ein subjektives Recht, welches von der betroffenen Person unmittelbar durchgesetzt werden kann (Sommerhalder/Forestier, in: Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aarau, Baumann et al. (Hrsg.), Bern 2013, N 11 zu § 53 BauG).

Vom Geltungsbereich des BehiG sind Bauten und Anlagen erfasst, für die eine Bewilligung erteilt wird (Art. 3 lit. a BehiG). Die Anforderungen an hindernisfreie Bauten und Anlagen sind entsprechend im 4. Teil des BauG gesetzlich verankert, namentlich in § 53 BauG. Ausserdem sind die §§ 37 f. BauV zu beachten, in welchen der Regierungsrat Vorschriften zum hindernisfreien Bauen erlassen hat. In Nutzungsplanungsverfahren ist die Umsetzung der Vorschriften über hindernisfreie Bauten und Anlagen grundsätzlich nicht vorgesehen, weshalb dies auf Stufe Baubewilligung zu erfolgen hat. Das Baubewilligungsverfahren eignet sich für die Interessenabwägung im konkreten Einzelfall und für die im BehiG vorgeschriebene Verhältnismässigkeitsprüfung besser als das Nutzungsplanungsverfahren (Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 19. April 2011, WBE.2010.124, E. 3.2).

3.1.2. Anforderungen an die Gestaltung des Gebäudes und die Parkmöglichkeiten

Gemäss § 37 Abs. 1 BauV richtet sich die Beurteilung der hindernisfreien Ausgestaltung nach Massgabe der Norm SIA 500 "Hindernisfreie Bauten", Ausgabe 2009, des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins. Behindertengerechte Gestaltung meint, dass die Anforderungen der Norm SIA 500 an Aussenanlagen, Zugänge, Verbindungswege, Bedienungselemente sowie an die Gestaltung von Eingangsbereichen und Tiefgaragen eingehalten sein müssen (vgl. § 37 BauV; Sommerhalder Forestier in: Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aargau, Baumann et al. (Hrsg.), Bern 2013, N 20 zu § 53 BauG). Es wird eine stufen- und schwellenlose Erschliessung bis zu den Wohnungseingangstüren von Mehrfamilienhäusern vorausgesetzt. Bei Mehrfamilienhäusern mit weniger als neun Wohneinheiten sind Erleichterungen vorgesehen (vgl. § 37 Abs. 2 BauV). Hinsichtlich Bad-/Duschraum und Zugang zur Toilette sowie zur Küche sind genügend Freiflächen zu planen, damit bei Bedarf die nötigen Anpassungen vorgenommen werden können. Bei Treppen im Wohnungsinnern ist der nachträgliche Einbau eines Treppenlifts zu gewährleisten (Erläuterungen zum Bau- und Nutzungsrecht des Kantons Aargau (BNR), Version 3.1, Rz. 309).

Des Weiteren hält die SIA-Norm 500, Ziff. 9.7 (§ 37 BauV), in Bezug auf die Parkfelderzahl fest, dass den Bewohnerinnen und Bewohnern mindestens ein rollstuhlgerechtes Parkfeld zur Verfügung zu stellen ist und je 25 Parkfelder zusätzlich ein weiteres. Für Besucher und Besucherinnen ist gemäss SIA-Norm 500 mindestens ein rollstuhlgerechtes Parkfeld pro Parkplatzstandort zu erstellen (Sommerhalder Forestier in: Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aarau, Baumann et al. (Hrsg.), Bern 2013, N 22 zu § 53 BauG).

3.1.3. Ausnahmen von der behindertengerechten Bauweise

Die Ausnahmen von einer behindertengerechten Bauweise sind in § 53 Abs. 1 BauG aufgezählt. Eine Abweichung ist zulässig, wenn der für Personen mit Behinderung zu erwartende Nutzen in einem Missverhältnis steht, insbesondere zum wirtschaftlichen Aufwand, zu Interessen des Umwelt-, Natur- und Heimatschutzes oder zu Anliegen der Verkehrs- und Betriebssicherheit. Von einem Missverhältnis zwischen Nutzen und Aufwand ist dann auszugehen, wenn bei der Erneuerung einer Baute die Kosten für die baulichen Anpassungen für Personen mit Behinderungen 5 % des Gebäudeversicherungswerts bzw. des Neuwerts der Anlage oder 20 % der Erneuerungskosten übersteigen (§ 38 BauV).

3.2. Spielplätze und Gemeinschaftsräume (§ 54 BauG)

§ 54 BauG sieht Folgendes vor:

1 Bei Mehrfamilienhäusern sind kindergerechte Spielplätze an geeigneter Lage herzurichten.

2 In grösseren Gesamtüberbauungen mit Mehrfamilienhäusern müssen genügend Gemeinschaftsräume für Freizeitbeschäftigungen erstellt werden.

3.2.1. Zweck der Bestimmung

Der Zweck dieser Bestimmung liegt darin, Kindern in allen Altersklassen geeignete Plätze zur Förderung ihrer körperlichen Entwicklung zur Verfügung zu stellen und die Kinder damit zugleich daran zu hindern, ungeeignete Strassen und Plätze als Spielplatz zu verwenden.

3.2.2. Anforderungen an die Gestaltung des Spielplatzes

Bei Mehrfamilienhäusern sind gemäss § 54 BauG zwingend Spielplätze vorzusehen. Bei der Planung von grosser Relevanz ist die Wahl eines geeigneten Standorts, die Gestaltung des Spielplatzes sowie die Auswahl der Geräte. Spielplätze müssen von den Kindern sicher erreicht werden können. Bei der Wahl des Standorts sollte insbesondere auch beachtet werden, unnötige Konflikte mit der betroffenen Nachbarschaft, insbesondere hinsichtlich Lärm, zu vermeiden. Grundsätzlich ist jedoch Lärm, der ausschliesslich tagsüber in einer nicht besonders lärmempfindlichen Zone durch Stimmen von einer grösseren Anzahl Kinder verursacht wird, objektiv nicht geeignet, die Bevölkerung im Sinne von Art. 15 USG in ihrem Wohlbefinden zu stören (vgl. BGE 123 II 74, E. 5. a). Die Ausgestaltung des Spielplatzes soll so erfolgen, dass die Kinder aufgrund der Topographie, Bepflanzung, Materialien und der Spielgeräte herausgefordert und zum Spielen angeregt werden. Letztlich muss jedoch auch der Unfallprävention und der Sicherheit ausreichend Beachtung geschenkt werden (Sommerhalder Forestier in: Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aarau, Baumann et al. (Hrsg.), Bern 2013, N 11 ff. zu § 54 BauG). Hinsichtlich der Gestaltung enthalten die Richtlinien Pro Juventute nützliche Hinweise (siehe Richtlinien Spielräume Pro Juventute (projuventute.ch), zuletzt abgerufen am 26.10.2023).

Die Gemeinden haben die Möglichkeit, in ihren Nutzungsplänen präzisierende Anforderungen an Spielplätze zu erlassen (Mindestfläche, Gestaltung, Standort usw.). Häufig wird in den Bau- und Nutzungordnungen der Gemeinden im Kanton Aargau die Grösse des Spielplatzes in Abhängigkeit der Bruttogeschossfläche (bspw. 15 %) festgelegt.

3.2.3. Ausnahmen von der Pflicht zur Erstellung eines Spielplatzes

§ 54 BauG regelt nicht, wann von der Erstellung eines Spielplatzes abgewichen werden darf. Gemäss Erich Zimmerlin entfällt die Pflicht zur Erstellung von Spielplätzen auf privatem Grund, wenn in unmittelbarer Nähe ein öffentlicher Spielplatz besteht, den die Gemeinde in Erfüllung einer sich selbst gestellten Aufgabe errichtet hat (zu altem Baugesetz: Erich Zimmerlin, Baugesetz des Kantons Aargau, 2. Aufl., Aarau 1985, N 12 zu §§ 167/168).

3.2.4. Gemeinschaftsräume

Die Erstellung von Gemeinschaftsräumen für Freizeitbeschäftigungen gemäss § 54 Abs. 2 BauG ist nur bei grösseren Gesamtüberbauungen mit Mehrfamilienhäusern, nach Massgabe der BNO, erforderlich. So ist beispielsweise in § 38 der Bau- und Nutzungsordnung der Stadt Bremgarten festgehalten, dass bei Mehrfamilienhäusern mit mehr als acht Wohnungen ein gedeckter Aufenthaltsbereich oder ein Gemeinschaftsraum für Freizeitbeschäftigung zu schaffen ist. Diese Räume sollen den Kindern als zusätzliche Spielmöglichkeit dienen, aber auch den Erwachsenen z.B. für Versammlungen zur Verfügung stehen (Sommerhalder Forestier in: Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aarau, Baumann et al. (Hrsg.), Bern 2013, N 27 zu § 54 BauG).

Nach § 32 Abs. 2 lit. b BauV werden Gemeinschaftsräume nicht an die Ausnützung angerechnet. Sie dürfen daher nicht zu Wohn- oder Gewerbezwecken umgenutzt werden, wenn damit die Ausnützung überschritten oder die notwendige Fläche für Gemeinschaftsräume nicht mehr ausgewiesen ist (Sommerhalder Forestier in: Kommentar zum Baugesetz des Kantons Aarau, Baumann et al. (Hrsg.), Bern 2013, N 28 zu § 54 BauG).

4. Terrassenhäuser als Mehrfamilienhäuser

Terrassenhäuser gelten gemäss § 18 Abs. 2 BauV als Mehrfamilienhäuser, wenn sie vier oder mehr Wohneinheiten besitzen und zugleich Teil einer Arealüberbauung sind.

§ 17 der BauV definiert Terrassenhäuser als in der Höhe gestaffelte Gebäude, wenn die Gebäudestufen der Hangneigung nach versetzt sind und das Verhältnis der Grundflächen von Terrasse und zurückversetzter Gebäudeeinheit mindestens 1:3 beträgt (mit weiteren Hinweisen Kommentar chkp. zu § 17 BauV).

Unter einer Arealüberbauung versteht man eine Gesamtüberbauung, welche erhöhte Anforderungen erfüllen muss und in der Regel auf einer grösseren, zusammenhängenden Fläche projektiert wird. Mit einer Arealüberbauung wird eine einheitliche städtebauliche und architektonisch sowie infrastrukturmässig überdurchschnittliche Lösung mit rationeller und funktionsgerechter Ausnützung des Bodens ermöglicht (vgl. AGVE 2002, S. 254, E. 2. B), wobei die Bauherrschaft zwischen der Regelbauweise und der Arealüberbauung wählen kann. Die §§ 39 und 40 BauV enthalten die Bewilligungsvoraussetzungen für Arealüberbauungen und die Punkte, in welchen Arealüberbauungen von der Regelbauweise abweichen dürfen.

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