1. Text IVHB
Anhang 1 zur BauV regelt bloss die Art und Weise, wie der Gebäudeabstand zu messen ist. Gemäss dessen Ziff. 7.2 ist die Entfernung zwischen den projizierten Fassadenlinien zweier Gebäude massgeblich. Die projizierten Fassadenlinien sind die Fassadenlinien, wie sie auf der Ebene der amtlichen Vermessung erscheinen (Ziff. 3.3 Anhang 1). Vor- und unbedeutend rückspringende Gebäudeteile werden weder bei der Fassadenflucht noch bei den Fassadenlinien berücksichtigt (Ziff. 3.1 bis 3.3 Anhang 1) und sind damit für den Gebäudeabstand nicht von Bedeutung. Die vorspringenden Gebäudeteile sind in Ziff. 3.4 Anhang 1 geregelt. Sie dürfen einen bestimmten Anteil des Fassadenabschnitts einnehmen und bis zum zulässigen Mass über die Fassadenflucht (besser: projizierte Fassadenlinie) hinausragen. Gemäss IVHB-Erläuterungen (S. 15) entspricht der Gebäudeabstand der kürzesten Entfernung zwischen irgendeinem Punkt der Fassadenlinien der beiden Gebäude.
2. Skizze IVHB
Für den Gebäudeabstand enthält die IVHB keine spezielle Skizze. Vielmehr hat man sich darauf beschränkt, den Gebäudeabstand in die Skizze für den Grenzabstand zu integrieren (Fig. 7.1 – 7.3). Er wird dort mit "G" bezeichnet. In der Skizze interessiert vor allem der mindestens einzuhaltende Gebäudeabstand ("mG"). Er wurde zwischen einem "vorspringenden Gebäudeteil" des südwestlichen Gebäudes und einer Hausecke des südöstlichen Gebäudes eingezeichnet. Dies ist dann richtig, wenn es sich beim erwähnten vorspringenden Gebäudeteil um einen vorspringenden Gebäudeteil handelt, der das in Ziff. 3.4 Anhang 1 zulässige Mass (für die Tiefe und/oder die Breite) überschreitet. Demgegenüber sind zulässige vorspringende Gebäudeteile bei der Messweise des Gebäudeabstands (wie auch bei der Messweise des Grenzabstandes) nicht zu berücksichtigen (IVHB-Erläuterungen, Ziff. 7.2, S. 15):
3. Mass des Gebäudeabstandes für Gebäude auf benachbarten Grundstücken
3.1 Grundsatz
Gemäss Text von § 27 BauV soll der Gebäudeabstand grundsätzlich (d.h. wenn spezielle Vorschriften fehlen) der Summe der beiden vorgeschriebenen Grenzabstände entsprechen. Dies hat zunächst zur Folge, dass weitgehend auf § 26 BauV verwiesen werden kann, auch wenn dort eigentlich bloss der grosse Grenzabstand behandelt wird.
Bei den vorgeschriebenen Grenzabständen kann es sich sowohl um grosse wie auch um kleine Grenzabstände handeln, gegebenenfalls mit Mehrlängenzuschlägen.
Ob es geschickt war resp. ist, in § 27 Abs. 1 BauV bloss von "vorgeschriebenen" Grenzabständen zu sprechen, ist zweifelhaft. Bei einer grammatikalischen Auslegung könnte man nämlich zum Schluss gelangen, dass der Gebäudeabstand auch dann der Summe der vorgeschriebenen Grenzabstände zu entsprechen habe, wenn im Sinne von § 47 Abs. BauG mittels einer Dienstbarkeit kleinere Grenzabstände vereinbart worden sind. Besser wäre es daher gewesen, von "vorgeschriebenen oder vereinbarten" Grenzabständen zu sprechen. Das Problem wird allerdings dadurch entschärft, dass § 47 Abs. 2 BauG es erlaubt, auch die Gebäudeabstände zu verkleinern oder aufzuheben. Die meisten privatrechtlich (mittels einer Dienstbarkeit) vereinbarten Näherbaurechte dürften so zu interpretieren sein, dass neben der – meist ausdrücklich so bezeichneten – Grenzabstandsreduktion eine Gebäudeabstandsreduktion mitgemeint ist. Besser wäre es, die Grenzabstandsreduktion und die Gebäudeabstandsreduktion ausdrücklich zu regeln. Zu beachten ist, dass die Dienstbarkeitsverträge meistens erst nach der Baubewilligungserteilung abgeschlossen werden (was gemäss § 47 Abs. 3 BauG zulässig ist). Diese Dienstbarkeitsverträge werden somit bloss noch von der Bauverwaltung geprüft und den vormaligen Einwendern nicht mehr zugestellt, weshalb diese ohnehin nicht mehr geltend machen können, es seien bloss die Grenzabstände, nicht aber die Gebäudeabstände, reduziert worden.
Wenn eine Gemeinde generell oder in der konkreten Zone die geschlossene Bauweise erlaubt, spielen weder Grenzabstände noch Gebäudeabstände eine Rolle. Dies kann auch dann gelten, wenn Reiheneinfamilienhäuser zugelassen sind (vgl. BVURA 17.95 [= AGVE 2017. S. 417]). Dieser Entscheid betraf offenbar eine Gemeinde, für die noch Teile der ABauV anwendbar waren. Da in § 20 ABauV der Gebäudeabstand ebenfalls als Summe der vorgeschriebenen Grenzabstände definiert wurde, dürften die Urteilserwägungen auch für die (neue) BauV massgeblich sein.
3.2 Hinweis auf abweichende kommunale Regeln
In vielen kommunalen BNO finden sich Regeln, die vom Grundsatz gemäss Ziff. 3.1 oben abweichen, so beispielsweise § 30 BNO Lengnau, der wie folgt lautet:
Stehen auf Nachbargrundstücken Gebäude mit zu geringem Grenzabstand, die in Anwendung früher geltenden Bestimmungen rechtmässig erstellt worden sind, ist lediglich der vorgeschriebene Grenzabstand, nicht jedoch der Gebäudeabstand einzuhalten, sofern keine wohnhygienischen, feuerpolizeilichen und ortbaulichen Gründe entgegenstehen.
4. Mass des Abstandes zwischen Gebäuden auf demselben Grundstück
§ 27 Abs. 2 BauV erlaubt es der Bauherrschaft, den Gebäudeabstand zwischen Gebäuden auf demselben Grundstück zu reduzieren oder aufzuheben, wenn die architektonischen, gesundheits- und feuerpolizeilichen Anforderungen gewahrt bleiben und wenn die Gemeinde nichts anderes festlegt. Es sind somit zwei Voraussetzungen zu erfüllen:
a)
Im Sinne einer negativen Voraussetzung darf die Gemeinde nichts anderes festgelegt haben. In der kommunalen Baugesetzgebung finden sich allerdings selten Vorschriften, wonach der Gebäudeabstand bei Bauten auf demselben Grundstück eingehalten werden muss. Selbst wenn das kommunale Baurecht ein Verbot der Reduktion des Gebäudeabstandes für Bauten auf ein und demselben Grundstück enthalten sollte, so könnte diese Vorschrift dadurch aufgehoben oder eingeschränkt werden, dass dieselbe Gemeinde in der massgeblichen Zone die geschlossene Bauweise oder Reiheneinfamilienhäuser zulässt. Offenbar traf dies für die Gemeinde im obgenannten Entscheid (vgl. BVURA 17.95) zu.
b)
Zudem müssen die architektonischen, gesundheits- und feuerpolizeilichen Anforderungen gewahrt werden. Insbesondere bei der Beurteilung der Frage, ob die architektonischen Anforderungen gewahrt bleiben, steht der kommunalen Baubehörde ein grosses Ermessen zu. Bei den gesundheitspolizeilichen Anforderungen können – neben der Besonnung resp. der natürlichen Belichtung – auch Immissionen (Lärm, Geruch) eine Rolle spielen. In AGVE 2003, S. 227 ff. hatte sich das Verwaltungsgericht beispielweise mit der von einem Pferdestall verursachten Geruchsbelästigung auseinanderzusetzen.