Bau- und Immobilienrecht.

§ 30 BauV Baulinien (Ziff. 7.3 Anhang 1 BauV)

Die Gemeinden können besondere Baulinien festlegen wie namentlich Pflichtbaulinien, die verpflichten, neue Gebäude und Gebäudeteile an die Baulinie zu stellen.

1. Definition und Zweck

Baulinien begrenzen die Bebauung. Sie dienen insbesondere der Sicherung bestehender und geplanter Anlagen und Flächen sowie der baulichen Gestaltung (Ziff. 7.3 Anhang 1 BauV). Baulinien liegen im öffentlichen Interesse, indem sie bestehende oder geplante Anlagen, wie etwa Verkehrsanlagen, sichern. Sie dienen auch der Freihaltung von Flächen aus Gründen der Ökologie oder der Sicherheit. Baulinien können auch eine Gestaltungsfunktion erfüllen: So können zum Beispiel Fassadenfluchten mittels Pflichtbaulinien einheitlich angelegt werden (Erläuterungen zum Bau- und Nutzungsrecht des Kantons Aargau, N 264 ff. zu § 30 BauV; IVHB-Erläuterungen, S. 16).

2. Arten

Es gibt verschiedene Arten von Baulinien. So können etwa Verkehrsbaulinien, Baulinien von Betriebsanlagen zu Verkehrsanlagen, Gewässerbaulinien, Baulinien für Versorgungsleitungen, Niveaulinien, Ski- und Schlittellinien und Baulinien für Einfriedungen vorgesehen werden.

3. Wirkungen

Legt eine Gemeinde Baulinien fest, gehen diese den allgemeinen Abstandsvorschriften grundsätzlich vor (§ 28 Abs. 4 BauV; vgl. auch SIA-Norm 423). Zu beachten sind allerdings Abstandsvorschriften des höherrangigen Rechts. Diese sind einzuhalten. So dürfen beispielsweise kommunal festgelegte Baulinien nicht Nationalstrassenbaulinien widersprechen (IVHB-Erläuterungen, S. 16).

Aus den Abbildungen in Ziffer 7 des Anhangs 2 der Bauverordnung ergibt sich, dass sich die Baulinien grundsätzlich auf die projizierten Fassadenlinien (Ziff. 3.3 Anhang 1 BauV) beziehen (vgl. nachfolgende Abbildung).

Abbildung 1 / Abbildung 2

Aus § 21 Abs. 2 BauV ergibt sich sodann, dass vorspringende Gebäudeteile (vgl. chkp.-Kommentar zu § 21 BauV) Baulinien überschreiten dürfen. Ferner dürfen auch energetische Sanierungen bestehender Bauten und Anlagen, etwa durch das Anbringen einer Aussenisolation, die Baulinien überschreiten, dies jedoch um höchstens 20 cm (§ 36 Abs. 1 BauV; vgl. § 51 BauG).

Sofern Baugesuche Bauten und Anlagen zum Gegenstand haben, welche die nicht kommunalen Baulinien überschreiten (oder den gesetzlichen Abstand von Wäldern, Kantonsstrassen oder Nationalstrassen nicht einhalten oder den Gewässerraum beanspruchen), hat der Gemeinderat diese Baugesuche vor seinem Entscheid dem zuständigen kantonalen Departement vorzulegen und darf sie nur mit dessen Zustimmung bewilligen (§ 63 Abs. 1 lit. c BauG).

Werden Bauten und Anlagen, welche die Baulinie überschreiten oder die Abstandsvorschriften zur Baulinie nicht einhalten, ausnahmsweise bewilligt, kann die Bewilligung insbesondere mit der Auflage verbunden werden, dass die Eigentümer die Baute oder Anlage auf eigene Kosten und ohne Anspruch auf Entschädigung entfernen oder versetzen müssen, sofern der Neu- oder Ausbau eines öffentlichen Werkes es erfordert (§ 67 Abs. 3 BauG; sogenannter Beseitigungsrevers).

Für untergeordnete Bauten und Anlagen, namentlich für Klein- und Anbauten (Verweis auf chkp.-Kommentar zu § 19 BauV), kann eine erleichterte Ausnahmebewilligung betreffend Abstände gegenüber Strassen oder Baulinien erteilt werden, sofern kein überwiegendes, aktuelles öffentliches Interesse entgegensteht (§ 67a Abs. 1 BauG). Bauten und Anlagen, die gestützt auf diese Bestimmung bewilligt worden sind, müssen vom Eigentümer auf erstmalige Aufforderung hin sowie auf eigene Kosten und entschädigungslos entfernt oder versetzt werden, wenn die überwiegenden Interessen eines öffentlichen Werkes es erfordern. In der Baubewilligung ist dies zur Auflage zu machen (§ 67a Abs. 2 BauG).

4. Festlegung und Aufhebung

Baulinien können im Rahmen der Raumplanung gemäss Art. 14 RPG oder im Sinne von spezialgesetzlichen Bestimmungen, wie sie für Nationalstrassen, Eisenbahnen etc. bestehen, festgelegt werden. Soweit die allgemeine Raumplanung betroffen ist, hat dies zur Konsequenz, dass in verfahrensrechtlicher Hinsicht die bundesrechtlichen Minimalanforderungen einzuhalten sind (Art. 33 RPG). Diesem Erfordernis entsprechen die Vorschriften im BauG. Für die meisten der hier interessierenden Baulinien sind die §§ 15 ff. BauG und damit die Vorschriften für die allgemeine Nutzungsplanung und die Sondernutzungsplanung anwendbar, auf die verwiesen wird. Die Bestimmungen der Bauverordnung ändern nichts an diesen bewährten Verfahrensvorschriften, sondern beschränken sich darauf, Baulinien und Baubereiche zu definieren.

Die Aufhebung von kommunalen Baulinien richtet sich nach demselben Verfahren wie deren Festlegung, wobei kommunale, kantonale oder nationale Baulinien zu unterscheiden sind.

Immer wieder stellt sich die Frage danach, ob seit langem bestehende Baulinien nach wie vor angewendet werden sollen. Nutzungspläne werden überprüft und nötigenfalls angepasst, sofern sich die Verhältnisse erheblich geändert haben (Art. 21 Abs. 2 RPG). Dies gilt auch für Baulinien. Für eine Planänderung ist nötig, dass sich die Verhältnisse seit der Planfestsetzung geändert haben, diese Veränderung die für die Planung massgebenden Verhältnisse betrifft und erheblich ist und damit eine Plananpassung nötig erscheint (BGE 123 I 182). Hervorzuheben ist diesbezüglich ein Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau aus dem Jahr 2000. Das Verwaltungsgericht hielt fest, dass sich die Verhältnisse dann "erheblich" geändert hätten, wenn sie das Gemeinwesen nach allgemeiner Erfahrung zu anderem Verhalten veranlasst hätten, wären sie zur Zeit der Nutzungsplanung Wirklichkeit gewesen. Das Verwaltungsgericht kam zum Schluss, die Baulinien einen geltenden Überbauungsplan mangels öffentlichen Interesses nicht anzuwenden. Dies nachdem die zuständige Gemeindebehörde bereits mehrfach festgestellt hat, dass an der alten Baulinie kein öffentliches Interesse mehr besteht (AGVE 2000 64, S. 257 ff.).

5. Exkurs: Baubereiche

Der Baubereich umfasst den bebaubaren Bereich, der abweichend von Abstandsvorschriften und Baulinien in einem Sondernutzungsplanverfahren festgelegt werden kann (Ziff. 7.4 Anhang I zur BauV; vgl. Abbildung). Damit ist die nutzungsplanerische Festlegung einer konkreten, allseitig abgegrenzten Fläche gemeint, in der Gebäude erstellt werden dürfen. Baubereiche kommen in Sondernutzungsplänen vor. Der festgelegte bebaubare Bereich weicht von den generellen Abstandsregeln und von den Baulinien ab und geht diesen als Detailvorschrift grundsätzlich vor. Somit kann es zu Kollisionen zwischen Baubereichen und Baulinien kommen. Diese gilt es zu vermeiden. Sofern ein Baubereich festgelegt werden soll, der einer geltenden, rechtlich gleichrangigen Baulinie widerspricht, muss die Baulinie gleichzeitig aufgehoben werden. Wird die dem Baubereich widersprechende Baulinie nicht aufgehoben, gilt die neuere Regelung. Höherrangiges Recht bzw. höherrangige Baulinien bleiben stets vorbehalten (IVHB-Erläuterungen, S. 17).

Vorspringende Gebäudeteile dürfen die Grenzen des Baubereichs eines Sondernutzungsplans nur überschreiten, wenn der Sondernutzungsplan dies ausdrücklich zulässt (§ 21 Abs. 2 BauV). Sollen also beispielsweise Dachvorsprünge die Baubereichsgrenzen überragen dürfen, muss die Gemeinde dies im Sondernutzungsplan ausdrücklich regeln (Erl. zur BauV-Rev. 2021, S. 10).

Downloads