Strafrecht.

Das Unmittelbarkeitsprinzip im Strafprozess

Warum dauern Gerichtsverhandlungen in Deutschland eigentlich oft mehrere Wochen? Und warum werden dagegen selbst umfangreiche Verfahren in der Schweiz meist an einem bis zwei Tagen abschliessend verhandelt? Die Antwort lautet: Unmittelbarkeitsprinzip.

In der "Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft" veröffentlichte Rechtsanwalt Adrian Dumitrescu eine ausführliche rechtsvergleichende Abhandlung zur strafprozessualen Maxime der Unmittelbarkeit in Deutschland und der Schweiz. Das Unmittelbarkeitsprinzip besagt, dass sich das Strafgericht einen möglichst direkten und unvermittelten Eindruck von dem zu beurteilenden Sachverhalt zu machen hat. So sollen etwa Zeugen zwingend anlässlich der Verhandlung befragt werden, um deren Aussageverhalten mit eigenen Augen und Ohren wahrzunehmen und beurteilen zu können. Das Gegenteil davon ist die sogenannte Mittelbarkeit, welche bei strikter Durchsetzung zu einem reinen Aktenprozess führen würde. Die Untersuchungsbehörden (Polizei, Staatsanwaltschaft) würden also die Beweise erheben und zu den Akten führen, worauf das Gericht alleine gestützt auf den Akten entscheidet.

Wie stark das Unmittelbarkeitsprinzip letztlich umgesetzt werden soll, liegt in den Händen des Gesetzgebers. Die europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) schreibt die Einhaltung des Unmittelbarkeitsprinzips nicht vor. Das Verfahren hat demnach bloss als Ganzes fair zu sein und die Verteidigungsrechte müssen gewahrt werden. Dies kann jedoch mit mehr oder weniger Unmittelbarkeit umgesetzt werden.

Die Schweiz und Deutschland haben hier unterschiedliche Ansätze gewählt. Während das Unmittelbarkeitsprinzip in Deutschland äusserst strikt umgesetzt wird und nur sehr punktuelle Ausnahmen davon möglich sind, ist das Strafverfahren in der Schweiz deutlich weniger unmittelbar. Ein Grossteil der Beweise werden durch die Untersuchungsbehörde erhoben und vor Gericht nicht mehr wiederholt, sondern anhand der von Polizei und Staatsanwaltschaft gesammelten und erstellten Aktenstücke vom Gericht zur Kenntnis genommen. Beide Systeme haben ihre Vor- und Nachteile. Die Reduktion von Unmittelbarkeit geht mit dem Verlust des unvermittelten Eindrucks des Gerichts einher. Allerdings dürfen die Gerichte jeden Zeugen nochmals befragen, sofern sie dies als notwendig erachten. Dieses Ermessen ist jedoch regelmässiger Anlass von berechtigter Kritik. Der Nachteil für die deutschen Gerichte ist hingegen, dass sie weniger Möglichkeiten haben, sich mit Aussagen aus der Untersuchung anhand vorschriftsgemäss erstellter Protokolle auseinanderzusetzen, welche auf Befragungen in zeitlicher Nähe zum fraglichen Delikt erfolgten.

MLaw Adrian Dumitrescu
Rechtsanwalt
chkp. ag Rechtsanwälte Notariat
Bremgarten